Im VDMA Magazin (Ausgabe 6/2021) sprechen Jonas Rothe und Amir Aloni von Magic Software über Chancen der Plattformökonomie, Digitalisierung im internationalen Vergleich und die israelisch geprägte Firmenkultur.
Die Magic Group hat 3.000 Mitarbeiter, davon 90 Prozent in Israel und den USA. Worauf liegt ihr Fokus in Deutschland?
Jonas Rothe: Ganz klar auf produzierenden mittelständischen Unternehmen! Wir helfen ihnen, Informationen zu gewinnen, indem sie Daten aus allen Unternehmensbereichen kontextualisieren. Das ist der Schlüssel zum Unternehmenserfolg, denn es ebnet den Weg zu datengetriebenen Entscheidungen und höherer Flexibilität. Magic sorgt seit 1983 mit Middleware für die notwenige Interoperabilität. In Projekten gehen wir pragmatisch vor: Wir analysieren, was bereits gut funktioniert und identifizieren Ergänzungsbedarf, den wir dann mithilfe unseres Tool-Sets gezielt implementieren.
Ihre Software macht Unternehmens- und Prozessdaten ungeachtet der Formate auf Plattformen nutzbar. In welchem Verhältnis steht sie zu plattformunabhängigen Standards wie OPC-UA?
Amir Aloni: Unsere Integrationstools unterstützen eine große Bandbreite an Kommunikationsprotokollen und Schnittstellen. OPC-UA ist im Kontext der vernetzten Fertigung eine große Hilfe. Wie andere offene Standards hilft er, Interoperabilität zwischen Daten aus der Fertigung und administrativen Bereichen zu erreichen. Die Herausforderung besteht darin, auch Interoperabilität zu Expertensystemen zu schaffen, die in Unternehmen historisch gewachsen sind. Nur wo das gelingt, gewinnen Firmen einen wirklich stimmigen Überblick über alle ihre Prozesse. Standards wie OPC-UA helfen sehr; aber darüber hinaus muss und kann unsere Plattform heterogene Software-Landschaften unserer Kunden über verschiedenste Schnittstellen hinweg integrieren.
Sie liefern digitale Infrastruktur für die Industrie 4.0 und die Platform-Economy. Ist es für Maschinenbauer ratsam, proprietäre Plattformen aufzubauen, um neue Player aus Übersee in Schach zu halten?
Aloni: Viele Maschinenbauer agieren in Nischen und bieten spezifische technologische Lösungen an, die sie im Austausch mit ihren Kunden ständig weiterentwickeln. Für sie ist es unbedingt ratsam, vernetzte Plattformen zu etablieren und ihr Softwareangebot auszubauen. Doch darf das keinesfalls dazu führen, dass ihren Kunden dabei Nachteile bei der Vernetzung ihrer Produktion oder beim Datenzugriff entstehen. Für mittelständische Unternehmen ist Flexibilität das A und O, um ihre Vorteile ausspielen zu können: Kurze Entscheidungswege, schnelle Innovationszyklen und unkomplizierte Umsetzung von Kundenwünschen. Plattformen sollten ihnen dabei helfen, ihre IT an ihre Strukturen zu adaptieren und passende Software für jede Aufgabe zu nutzen.
Rothe: Hierzu ein Beispiel, die Rückverfolgbarkeit. Daran sind verschiedene PLM-, ERP- und Expertensysteme beteiligt. Um Daten-Interoperabilität herzustellen und die Dokumentation gesamter Produktionsprozesse per Knopfdruck abrufbar zu machen, müssen verschiedenste Softwarehersteller das Plattform-Thema koordiniert vorantreiben. Wir sind dem VDMA auch beigetreten, um uns im Sinne funktionierender Daten-Drehscheiben an dieser Koordination zu beteiligen und um unser Schnittstellen-Know-how beizusteuern. Wie gesagt: Wir machen seit 1983 Middleware. Dieses Rad muss der Maschinenbau nicht neu erfinden.
Gehen amerikanische, israelische und europäische Akteure das Thema Digitalisierung unterschiedlich an?
Aloni: Natürlich gibt es die erfolgreichen IT-Konzerne in den USA und die agile, von Start-up-Kultur geprägte IT-Community in Israel. Doch im Bereich Industrie 4.0 sehe ich deutsche Unternehmen vorn. Sie sind der US- Konkurrenz um mindestens einen Schritt voraus. Auch darum wollten wir hier Fuß fassen. Zögerlich empfinde ich deutsche Maschinenbauer nicht: Bei der Transformation zur Industrie 4.0 legen sie beachtliches Tempo vor – was gut mit unserer israelische Start-up-getriebenen Innovationskultur zusammenpasst.
Macht sich diese Kultur bei Ihnen in München bemerkbar? Gibt es zuweilen (produktive) Reibung?
Rothe: Es wird auf jeden Fall nie langweilig (lacht). Wir ergänzen einander in unseren Stärken und Schwächen. Dank Webmeeting sind unsere Wege im Alltag kurz. Da prallt deutsche Gründlichkeit, jahrzehntelange Projekterfahrung im Mittelstand und eine langjährige deutsche Niederlassung im besten Sinne auf die Philosophie, Start-Up Mentalität und Innovationskraft des israelischen Teams im Headquarter: Schrittweises agiles Vorgehen, konkrete Lösungen für konkrete Probleme und klare ambitionierte Zeitpläne. Auch unser Portfolio hilft, wie ein Start-up zu agieren. Mit etablierter Entwicklungstechnologie und neuen Tools wie FactoryEye ergänzen wir gezielt bestehende Lösungen und ertüchtigen viele Kunden, ihre Plattformen selber zu managen. Wenn sie Auslandsstandorte anbinden wollen, steht ihnen unser globales Netzwerk von Niederlassungen und Partnern bei.
Aloni: Seit der Pandemie arbeiten auch immer mehr Kunden im Remote-Modus. Die Welt wächst noch enger zusammen. Software sorgt dabei für Flexibilität. Sie muss Hindernisse beseitigen, sobald sie sich auftun. Eine unserer Stärken in Israel ist es, dass wir uns oft sehr schnell und pragmatisch an veränderte Randbedingungen anpassen mussten. Das geht nur mit kleinen, schnell wirkenden Schritten. Genau solche Methoden brauchen aktuell auch mittelständische Maschinenbauer bei der digitalen Vernetzung ihrer Prozesse.
Zu den Personen:
Jonas Rothe ist Sales Director DACH – Data Excellence der Magic Software Enterprises GmbH in Ismaning.
Amir Aloni ist Vice President für den Produktbereich Manufacturing am Hauptsitz der Magic Group in Or Jehuda nahe Tel Aviv.
Erschienen im VDMA Magazin, Ausgabe 06/2021